Warum kaputt?
Gewinde können auf unterschiedliche Art und Weise ihren Taug verlieren. Und üblicherweise passiert das genau dann, wenn die Schraubverbindung schnell, rasch und kurz vor Feierabend ihren Dienst tun soll. Grand Malheur!
Bevor man nun aber wie von Söldnern gehetzt zur Reparatur hechtet, lohnt ein scharfer Blick auf die Ursache: Warum ist die Verbindung überhaupt hinüber? Schließlich soll die Reparatur ja ein bisschen länger halten.
Deswegen vorab ein kleiner Exkurs in die Theorie der Schraubverbindungen – schließlich kann der Stoff, aus dem die Windung ist, kann nämlich butterweich oder knüppelhart und zäh sein. Unglücklicherweise sind grade am geliebten KFZ oft harte und weiche Materialien miteinander verschraubt – unschwer zu erraten, was zuerst ausschlackert und den Geist aufgibt.
Festigkeitsklassen
Auf den Köpfen aller gängigen Schrauben finden sich neben dem Namen, Logo oder Kurzzeichen des Herstellers auch eine Zahlenkombination, die dem geneigten Benutzer Aufschluss über die Festigkeit oder Härte der Schraube und ihres Gewindes gibt. Bei dieser Zahlenkombination ist vor allem die erste Zahl von Interesse; grob gesagt verbirgt sich dahinter die Zugfestigkeit des Schraublings, die man in Newton pro Quadratmillimeter misst.
Für Schrauben und Muttern sind vor allem die Festigkeitsklassen 3.6 / 4.6 / 4.8 / 5.6 / 5.8 / 6.8 / 8.8 / 9.8 / 10.9 und 12.9 gebräuchlich. Die erste Zahl gibt an, wie viele Newton an einem Quadratmillimeter Schraubenquerschnitt ziehen können, bis das Ding auseinanderreisst.
Das ist arg vereinfacht, weil sich Schrauben erst elastisch dehnen und danach plastisch und dauerhaft verformen.
Bei einer Schraube 4.6 ist die Zugfestigkeit 400 Newton, bei einem Bolzen 8.8 beträgt sie 800 Newton pro Quadratmillimeter. Im Fall 10.9 steht die 10 für eine Zugfestigkeit von 1000 Newton pro Quadratmillimeter Schraubenfleisch.
Das sind immerhin rund 100 Kilo, die man einen Quadratmillimeter ranhängen kann. Und bei einer Regelgewindeschraube M10 hat man reichlich Fleisch: so eine Schraube kann man unter Laborbedingungen mit wenigstens 4,8 Tonnen belasten, bevor sie sich dauerhaft verformt oder sogar abreißt. Ein Vergleichsexemplar von 4.6 kann hingegen nur rund 1,3 Tonnen ab.
Diese Tonnen hören sich doll an und taugen tatsächlich, ein Auto bei „Wetten, dass?“ an einem Schräubchen über den Haribo-Mann schweben zu lassen. Allerdings sind 1,3 Tonnen auch schnell erreicht, wenn man das Drehmoment betrachtet, das man mit einer Gewindesteigung von 1,5 Millimetern und einem Ringschlüssel mit Verlängerung hinkriegt
Weichlinge
Schrauben und Muttern mit Festigkeiten von weniger als 8.8 kommen an Auto und Motorrad kaum vor – wohl aber in Haus, Hof und Holzbau.
4.6 ist nämlich immer noch härter als Mahagoni und dem Holzwurm deshalb willkommen. Für die Verwendung am Kraftfahrzeug ist das allerdings gänzlich ungeeignet, weil zu weich.
Werkert man also auch mit Holz herum, lohnt sich ein Blick auf die Mutter oder Schraube, bevor das Ding an Auto oder Motorrad wandert – möglicherweise ist es ein weiches Exemplar aus der Holz-Ecke.
Weil hochwertige Schrauben auch hochwertiges Geld kosten, lässt sich unschwer erraten, was böse Internet-Handelsbuben gerne mit solchen Weicheisen-Schrauben oder -Muttern veranstalten.
Genau: Mit dem Kinderpost-Stempelsystem zu 12.9-Material machen. Bei Schrauben, die zu spottbilligen Ersatzteil-Sets gehören, ist deswegen gesundes Misstrauen angesagt.
Je höher also die Zahl, desto fester die Schraube. Und auch härter: eine Schraube 12.9 ist unerbittlich und zerdrückt jedes Gewinde in Leichtmetall, bevor es selbst aufgibt und die Gewindegänge von sich streckt.
Wenn so ein Gewindesalat passiert, muss das aber nicht zwangsläufig daran liegen, dass die Schraube zu hart war; diese Härte hat in aller Regel seinen Sinn.
Ursachenforschung
Motoren von heute sind aus Leichtmetall und damit leichter und leistungsfähiger als die Exemplare der Graugussära von Käfer, Strichacht und Opel Admiral (Ja, der Käfermotor war nicht aus Guss, sondern ebenfalls aus Leichtmetall…). In jedem Fall reißen die Gewinde in weichem Werkstoff schneller aus – vor allem deswegen, weil nahezu alle in den Block oder Kopf gedrallerten Schrauben härter sind als die üblichen Aluminium-Magnesiumlegierungen des modernen Motorenbaus.
Dass Schraubenverbindungen überhaupt kaputtgehen oder ausreißen, sollte eigentlich nicht vorkommen. Eigentlich. Denn uneigentlich kann so eine Verbindung entweder
a. falsch dimensioniert sein
b. falsch montiert oder behandelt sein oder
c. überlastet worden sein.
Weil Konstrukteure zumindest in Deutschland, Japan und Korea ganz anständig ausgebildet werden, fällt die verkehrte Dimensionierung meist aus. In aller Regel geht Gewindesalat deswegen auf Fehlbehandlung durch anabolikaverstärkte Nobelpreisträger zurück. Ärgerlich also, wenn man es selbst war.
Schließlich wird man auch mit Gefühl und wachem Verstand mitunter ein Opfer des „nach Fest kommt App!“ und steht dann vor einem ganz oder teilweise zerstörten Gewinde.
Gewinde-Analyse
Vor aller Reparatur steht aber die Schadensanalyse: warum ist das Gewinde ausgerissen? Kommen z.B. Sachen ins Vibrieren, weil eine wichtige Aufhängung flöten gegangen ist, so reißt ein Bauteil irgendwann ab und sein Gewinde aus.
Schraubt man nun das Bauteil mit neuen Gewinden ohne Aufhängung wieder an, hält es mit hoher Wahrscheinlichkeit so lange durch wie Harald Juhnke nach der Entziehungskur.
Nur wenn die Ursache für die Gewindemalaise klar und dann auch beseitigt ist, sollte man sich an die Reparatur machen.
Das heißt nicht, dass man den appen Endtopf nicht mit Kabelbindern oder Blumendraht festschnallen darf – nur halten wird das vermutlich nicht so lange wie die „korrekte Reparatur“.